Preußisch Sibirien

Die Eifel unter Preußen


In der Neujahrsnacht 1814 überschritt General Blücher bei Kaub den Rhein und beendete mit seinem Sieg über die napoleonischen Truppen die französischen Herrschaft. Der Wiener Kongress 1814/15 brachte die Rheinlande zu Preußen. Koblenz wurde Sitz des Oberpräsidiums der Rheinprovinz, die sich von Kleve über Bad Kreuznach bis Saarbrücken erstreckte. 1815 übernahm Preußen die Herrschaft über die Eifel.

Die geografische Lage der Eifel machte den neuen Landgewinn wegen seiner Nähe zu Frankreich und den Beneluxstaaten für das Königreich Preußen zu einer militärstrategisch interessanten Option. Die Eifel war an erster Stelle Aufmarschgebiet für die Kriege Preußens mit dem Erzfeind Frankreich. Bis zum Beginn der Gründung der Europäischen Gemeinschaft existierte für diese historische Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich der Begriff der „Erbfeindschaft“. Er suggerierte einen von den Vorfahren „vererbten“ Feind, dem man sich seit den Kriegen Ludwig des XIV in einem latenten Kriegszustand befand.

Für einen preußischen Offizier glich der Militärdienst in dieser Region einer Strafversetzung. Und auch der Aufbau einer neuen Verwaltung war für viele preußische Beamte, überwiegend Protestanten, eine Zeit der Bewährung in einer bis dahin rückständigen Region. Schnell war der neue Gebietsgewinn als das Armenhaus Preußens verrufen. Wegen der Armut, der Randlage und der harten Winter bekam die Eifel bald den inoffiziellen Titel „Preußisch Sibirien“.

Den Zeitgenossen erscheint die Eifel als eine bizarre, wilde Landschaft, trost- und hoffnungsloser Lebensraum für die Bewohner. In einem Gedicht, das vor allem die Vulkaneifel in den Blick nimmt, beschreibt der Dichter Wolfgang Müller in seinem „Rheinbuch“1 :

Es hebet sich zu starrer schroffer Schau
Das Eifelland mit seinen Felsenkegeln,
Um deren Häupter zackig , scharf und kühn,
Vorübereilend dunkle Wolken segeln.
Hier triffst du selten Matten frisch und grün ,
Unwirthbar , grau und düster sind die Strecken ,
Und der Bewohner muß sich rastlos mühn ,
Im Boden hier die Saaten aufzuwecken.

[…]
Tiefernst und stumm und kalt ist hier die Welt
In diesen öden unfruchtbaren Weiten,
Leblos liegt selbst das blaue Himmelszelt,
Du glaubest über Trümmer rings zu schreiten.
Es scheint, als klagte selber die Natur,
Daß sie erlebt hier wonnevollre Zeiten;
[…]
Was hier dich anweht, ist ein trübes Herz,
Das starr verharrt, zerrissen und zerschlagen,
Das nur im Waldbach weint den lauten Schmerz,
Sonst alle Hoffnungen zu Grab getragen;
Es ist des Alters leblos dürre Pein,
Die schwärmend träumt von goldnen Jugendtagen.
Hörst du den Geier durch die Lüfte schrein?

Bild: Zum Gedächtniß von Wolfgang Müller von Königswinter. Illustration von Caspar Scheuren, Deutsches Künstler-Album, 1875

Der Neuaufbau der Verwaltung nach der Vertreibung der Franzosen, zögerliche Versuche, eine wirtschaftliche Entwicklung der Eifel zu betreiben sowie erste Ansätze einer Volksbildung waren positive Erfahrungen, die die Bevölkerung machte.

Erste Sympathien erwarb sich die neue Regierung als 1816 eine furchtbare Hungersnot infolge eines Vulkanausbruchs in Indonesien die Eifel heimsuchte.2Der größte Teil der Bevölkerung in der tiefen Eifel schleicht jetzt umher mit eingeschwundenen kleinen Augen, hohlen eingefallenen Wangen (…) unfähig zur Arbeit (…) den Seuchen entgegensehend (….). Über 50.000 Menschen in den Bezirken Prüm, Daun und zum Teil Blankenheim befinden sich größtenteils in diesem Zustande.“ heißt es in einem Regierungsbericht von 1817. 3 Mit zwei Millionen Talern Soforthilfe und Spendenaktionen in Berlin und anderen Städten für „Preußisch Sibirien“ wurden die schlimmsten Nöte gelindert.

Probleme machte die Einsetzung landfremder leitender Beamter aus den Ostprovinzen Preußens. Erst als auch die Eifler Bevölkerung deren Disziplin und Unbestechlichkeit anerkannte, arrangierte man sich. Spannungen gab es auch zwischen Staat und Kirche. Vor allem an dem Gesetz, wonach Kinder immer die Konfession des Vaters annehmen müssen, entzündete sich heftige Kritik. In der Regel waren die zugezogenen Beamten evangelisch und wenn sie hier heirateten, waren es katholische Mädchen, denen die kirchlichen Oberhirten abverlangten, ihre Kinder nach katholischem Glauben zu erziehen.

Die Konflikte zwischen Staat und Kirche fanden ihren Höhepunkt in den 70er Jahren des Jahrhunderts. Reichkanzler Bismarks Versuch, im „Kulturkampf“ die katholische Kirche dem Staat unterzuordnen, fordert den Widerstand der streng katholischen Eifler heraus. Das Verbot, von der Kirchenkanzel über staatliche Angelegenheiten zu sprechen, die Auflösung von Orden und Klöstern, die Verhaftung von Geistlichen und die Inhaftierung der Trierer und Kölner Erzbischöfe haben tiefe Gräben zwischen den Repräsentanten des preußischen Staats und der Eifler Bevölkerung aufgeworfen.

Doch mit der Übernahme der Eifel durch Preußen wurden große Anstrengungen unternommen, die Lebensbedingungen in der herabgewirtschafteten  und geplünderten Region systematisch zu verbessern.

Mit den Preußen wurden die weiten, geplünderten Flächen der Eifel wieder im Zuge eines systematischen Waldbaus aufgeforstet. Ein Aufschwung in der darniederliegenden Eifler Landwirtschaft erfolgt erst in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. Der 1832 entstandene „Verein zur Förderunug der Landwirtschaft“, der 1840 im „Landwirtschaftlichen Verein der Rheinprovinz“ aufgeht, begann, sich um die einfachen Bauern zu kümmern. Er machte sie mit neuen landwirtschaftlichen Methoden und Erkenntnissen bekannt, und legte damit die Basis für eine effizientere Landwirtschaft.

Großes Engagement gab es auch im Bildungswesen, um den erschreckenden Analphabetismus zu bekämpfen. Ab 1825 bestand ein allgemeiner Schulzwang. Besondere Bedeutung maß man der Lehrerfortbildung zu. Auch der Kinderarbeit rückte man zu Leibe, die in einem Gesetz von 1839 für Kinder unter 9 Jahren verboten wurde und für Jugendliche auf höchstens 10 Wochenstunden beschränkt wurde. Der Aufbau genossenschaftlicher Spar-und Darlehenskassen, die besonders der ärmeren ländlichen Bevölkerung faire Kredite gewährten wurde seit 1863 gefördert.

Der weniger erfreulichen Tendenz, die Eifel als Aufmarschgebiet gegen Frankreich zu sehen, verdankt die Eifel wohl auch die Erschließung durch die Eifelstrecke Köln-Trier. Die Umwälzungen und die Umbrüche des Transportwesens durch die Eisenbahn hat auch die Geschichte der Eifel mitgestaltet. Leider kam diese Maßnahme zu spät, um die wirtschaftlichen Nachteile der Grenzlandsituation, wie sie durch die politische Veränderung in Europa nach dem Wiener Kongress entstand, zu kompensieren. Die Übernahme der Herrschaft über den Eifelraum war trotz allem guten Willen, den preußische Beamte in die Weiterentwicklung der Eifel investierten, mit dem Niedergang einst bedeutender Wirtschaftszweige wie der Eisenindustrie und der Tuchindustrie verbunden. Unter preußischer Herrschaft gelangte dagegen die Bleiindustrie in der Eifel zu neuer Blüte.

Hungersnöte und wirtschaftliche Rückständigkeit haben trotz der Reformbemühungen der preußischen Herrschaft Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zu einer regelrechten Ab- und Auswanderungswelle geführt. Man schätzt, daß zwischen 1840- 1871 ca. 60.000 Menschen die Eifel verlassen haben. Ein Drittel zog der abgewanderten Industrie nach , während etwa 40.000 Eifler nach Übersee auswanderten. Erst gegen Ende des Jahrhunderts gelang es, durch Neuerungen in der Landbewirtschaftung der Eifelbevölkerung eine neue Existenzgrundlage zu geben. Ein Zeitzeuge, der Dichter Gottfried Kinkel, schreibt in seinem Reiseführer über „Die Ahr“ 4: „… die Bewohner des Thals werden arm und ärmer , die einst blühenden Dörfer brechen zusammen , die fröhliche Lebenslust , wie sie Weinländern eigen ist , schwindet von Jahr zu Jahr mehr , und zuerst von allen Preußen hat der Ahrländer die Auswanderung nach Amerika begonnen.“

In den anderen Teilen der Eifel war es ähnlich. In einem „Katholischen Wochenblatt“ das in deutscher Sprache in Chicago erschien heißt es: “ Gerolstein. Die Auswanderung aus unserer Gegend nach Amerika nimmt immer mehr zu. Es gibt fast kein Dörfchen, aus welchem nicht mehrere Personen oder Familien auswandern. Am 18. März sind auf dem Bahnhofe Hillesheim verschiedene Personen, auf dem Bahnhofe Jünkerath fünf, am 19. März hundert in den Zug gestiegen, um jenseits des Meeres eine bessere Heimat zu finden. In den nächsten Tagen werden aus einigen Ortschaften an der Kyll noch andere Europamüde dieselbe Reise antreten. Fragt man die Leute nach dem Grunde der Auswanderung, so erhält man zur Antwort: Wir können die Steuern nicht mehr aus dem Boden bringen. Wenn unsere Söhne so groß sind, daß sie uns zur Stütze sein könnten, dann müssen sie zu den Preußen. In Amerika können wir unsere Kinder auch in gute katholische Schulen schicken und werden auch nicht an der Ausübung unseres katholischen Glaubens gehindert.“5

Wohl um dem weiteren Exodus aus der Eifel etwas entgegen zu setzen wurde1883 der „Eifelfonds“ aufgelegt. Innerhalb von 18 Jahren wurden 5,5 Millionen Mark für Meliorationen, zur Aufforstung von Ödland und zur Durchführung von Zusammenlegungen aufgebracht.

Seit 1870 wurde die Eifel drei Mal Aufmarschgebiet für deutsche Truppen gegen Frankreich. Mit der Niederlage nach dem I Weltkrieg wurden Eupen, Malmedy und St. Vith an Belgien abgetreten, was den lokalen Wirtschaftsraum nachhaltig zerschnitt.

  1. Wolfgang Müller: Das Rheinbuch – Landschaft, Geschichte, Sage, Volksleben Quelle: ↩︎
  2. Karlheinz Böffgen, Vulkanausbruch: Ursache für die Hungersnot 1816/17 in der Eifel? in Heimatjahrbuch Vulkaneifel ↩︎
  3. ebd. Heimatjahrbuch Vulkaneifel ↩︎
  4. Gottfried Kinkel: Die Ahr-Landschaft, Geschichte und Volksleben. Zugleich ein Führer für Ahrreisende Bonn 1846 ↩︎
  5. Eifler Nachrichten in einer Amerikanischen Zeitung in: Heimatjahrbuch Daun 1984 ↩︎

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