Der Tod des Korporals

Aus der Zeit der napoleonischen Besatzung

Ein Kreuz erzählt – Die wahre Geschichte von Lorenz Billigen 1

Die Geschichte, die sich auf dem „Stock“ in der Nähe von Dreis im Kreis Daun im Jahre 1812 zugetragen hat, ist keine Sage, sondern eine wahre Begebenheit, die dennoch nicht in Vergessenheit geraten sollte. Auf der Höhe des „Stock“ steht ein schlichtes Kreuz mit der eingravierten Jahreszahl 1812, und dieses Kreuz erinnert an eine Geschichte aus der napoleonischen Besatzung des Rheinlands. Schauplatz der Ereignisses war der Ort Dreis im heutigen Vulkaneifelkreis. Der Stifter des Kreuzes war Lorenz Billigen, ein Tagelöhner und Holzhauer im Unterdorf von Dreis, der dort mit seiner schwangeren Frau Annemarie und der kranken Mutter lebte.

Dreis liegt an der alten Heerstraße, die von Hillesheim nach Belgien führte. In den Jahren 1810-1812 zog Napoleon mit seinen Truppen über diese Straße in Richtung Russland. Fast täglich durchquerten französische Truppen, endlose Kolonnen von Kavallerie, Jägern und Artillerie den Ort. Bei ihrem Abzug blieben immer einige Soldaten zurück, sei es wegen Fußkrankheiten oder wegen Erkältungen, die sie im nasskalten Wetter erlitten hatten. In der Dreiser Burg war eine Marschkommandantur eingerichtet, die für die Versorgung und Verarztung der Soldaten zuständig war. Die durchziehenden Soldaten mussten von den Dorfbewohnern mit allem Lebensnotwendigen versorgt werden, sodass sie kaum noch genug zu Essen hatte und öfter Not litt. Die Männer des Dorfes wurden zu Frondiensten, wie Straßenbau, Vieh- und Pferdeversorgung, Brennholzbeschaffung und Hilfe beim Transport von Kriegsmaterial gezwungen.

Szene aus dem napoleonischen Feldzug nach Russland (1812). Soldaten
beim Verzehr von Pferdefleisch. Illustration Wikipedia Gemeinfrei

Ende Februar, als starker Frost und Schnee herrschte, war das Dorf mit französischen Truppen überfüllt. Die Not im Dorf wuchs, es mangelte an allem, und die Situation verschärfte sich.

Am Tag vor Palmsonntag rückten neue Truppen, die 12. Chasseure, ins Dorf ein. Aufgrund der großen Anzahl wurden die fußkranken Soldaten in der Kapelle untergebracht, und Stroh wurde aus allen Häusern herbeigeschafft. Lorenz und sein Freund Jusepp wurden beauftragt, Holz für die Lagerfeuer der Franzosen zu schlagen. Dabei stießen sie auf neue Schwierigkeiten, da die Fuhrwerke oft im aufgeweichten Boden steckenblieben.

Auf dem Weg zurück ins Dorf sah Lorenz vor der Dorfkneipe eine Ansammlung von Soldaten , die die Gaststätte überfüllten. Unter ihnen herrschte reges Treiben, doch Lorenz steuerte müde sein Häuschen im Unterdorf an. Doch als er die Kammer betrat, hörte er die Hilferufe seiner Frau. Im Halbdunkel sah Lorenz einen französischen Korporal, der versuchte, seiner Frau Gewalt anzutun. In ohnmächtiger Wut ergriff Lorenz eine Axt und schlug damit auf den Soldaten ein. Annemarie fiel in Krämpfe, und Lorenz eilte, um Hilfe zu holen. Die alte Margrit kümmerte sich um die schwangere Frau, während Lorenz in die Burg ging, um den Vorfall dem Kommandanten zu melden.

Lorenz gestand, den Soldaten erschlagen zu haben, und der Oberst kündigte trotz der besonderen Umstände ernsthafte Folgen für den Tagelöhner wegen dieser Tat an. Lorenz wurde in einen Raum der Burg gesperrt, wo bereits zwei gefangene Franzosen inhaftiert waren.

Die Schreckensnachricht verbreitete sich im Dorf, und am nächsten Tag wurde Lorenz vor fremde Richter gestellt. Trommelwirbel durchzogen das Dorf, und ein Offizier verlas zum Entsetzen der Dorfbewohner das Todesurteil für Lorenz Billigen. Noch am selben Abend sollte die Vollstreckung erfolgen.

Die Menschen beteten in ihren Häusern, und auf Anraten des Bürgermeisters versammelten sie sich alle in der Kapelle. Pastor Schmitz aus Dockweiler, dem man einen Boten geschickt hatte, erfuhr von dem Geschehen und eilte mit seinem Küster zur Kirche, um das Allerheiligste zu holen. Dann machte er sich auf dem schnellsten Weg nach Dreis, um dem Verurteilten beizustehen.

Doch als er am Richtplatz ankam, war bereits das Urteil verlesen. Der Pfarrer konnte noch beim französischen Oberst erreichen, dem Todeskandidaten die Beichte abzunehmen und Trost zu spenden. Und noch einmal bat er den Obristen um Gnade, der ja nur versucht hatte, die Ehre seiner Frau zu verteidigen. Zunächst ohne Erfolg. Da schlug der Pastor das Messgewand zurück und der Offizier erkannt, dass der Kirchenmann einen Orden trug. Pastor Schmitz hatte nämlich von Napoleon selbst die silberne Verdienstmedaille für seine aufopfernde Tätigkeit bei der Bekämpfung der gefährlichen Blattern erhalten. Der Franzose ließ sein Exekutionskommando salutieren und verkündete: „Im Namen der französischen Nation, Lorenz Billigen ist frei! Er ist begnadigt.“

1801 hat der Pfarrer Hubert Schmitz sich als Impkarzt während einer Pockeepedemie engagiert und unter »Spott und Hohn« über 6 000 Personen, Kinder und Erwachsene, in den Kreisen Daun, Prüm, Wittlich und Cochem geimpft, unentgeltlich, wobei er alle Wege zu Fuß zurücklegte. Für diese besondere Leistung hat Kaiser Napoleon ihm  am 24.1.1807 die große silberne Verdienstmedaille verliehen. Unter 20 Personen, die diese Auszeichnung erhielten, war Pfarrer Schmitz der einzige Deutsche.2 Zum Bild: Ländliche Kinderimpfung aus der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ 1867

Die anwesenden Menschen jubelten und stimmten den Lobgesang an „Großer Gott, wir loben dich!“

Zum Dank für seine Rettung in letzter Minute ließ Lorenz Billigen ein Steinkreuz am Ort der Begnadigung errichten mit der schlichten Inschrift der Jahreszahl 1812.

Titelbild: Charles Meynier, Einzug Napoleons in Berlin, 27. Oktober 1806 (Gemeinfrei)

  1. Nacherzählt nach einem Bericht von Willi Steffens, Ein Kreuz erzählt – Die wahre Geschichte von Lorenz Billigen Heimatjahrbuch Vulkaneifelkreis 1976 zurück ↩︎
  2. Joseph p. Böffgen, Pfarrer Johann Hubert Schmitz; Heimatjahrbuch Kreis Daun 1986 zurück ↩︎

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