„Jesses, die Mannsleit!“

Clara Viebig - Das Weiberdorf

Ich habe mir just den schönsten Winkel des ganzen schönen Rheinlandes zum Geborenwerden ausgesucht. In Trier, unweit der ‚Poort‘, wie das Römertor im Volksmund heißt, stand meine Wiege; sie schaukelte im Takt der vielen frommen Glocken, die, […] mit mächtigen Stimmen über die Mosel schallten.“ [1] Clara Viebig (*17.7. 1860 Trier – † 31.7. 1952 Berlin) verbrachte ihre frühe Kindheit in Trier. 1868 wurde ihr Vater nach Düsseldorf versetzt, und die Familie zog um. Nach dem Besuch der „Luisenschule“ (Höhere Töchterschule) verbrachte sie 1876 ein Pensionatsjahr in Trier im Haus des Landgerichtsrats Mathieu. Für Clara Viebig war diese Zeit „bestimmend“ für ihre schriftstellerische Entwicklung . Auf den Untersuchungsfahrten Mathieus in die Eifel lernte sie die Eifel und ihre Bewohner kennen.

1881 zog sie nach Berlin um. Hier entstanden ihre ersten literarische Arbeiten. Unter dem Eindruck von Zolas „Germinal“ schrieb Clara Viebig ihre erste größere Erzählung. „Die Schuldige“. 1896 heiratete sie den jüdischen Verleger Friedrich Theodor Cohn. Mit dem Roman „Rheinlandstöchter„, der in Manderscheid spielt, gab sie 1897 ihr Romandebüt. Mit „Das Weiberdorf“ gelang ihr 1900 der literarische Durchbruch.

In ihrem Roman erzählt sie die Geschichte des Peter Miffert, der als einziger Mann in dem Dorf Eisenschmitt zurückbleibt unter lauter Frauen. Der Grund dafür ist sein lahmes Bein. Deswegen kann er sich nicht wie die anderen arbeitssuchenden Männer des Dorfes bei den aufblühenden Stahlwerken des Ruhrgebietes als Lohnarbeiter verdingen. Die „Gastarbeiter“ aus der Eifel kommen nur zwei mal im Jahr von dort für 10 Tage nach Hause um ihre Familien zu sehen, zu feiern und zu tanzen.

Die Männer von Eifelschmitt hatten nie viel Zeit; rasch wurde geliebt, rasch wurde gefreit. Zweimal im Jahr — im Winter zu Weihnachten, im Sommer zu Peter und Paul — kamen sie heim in’s enge Salmthal. Sie konnten da nicht ihren Lebensunterhalt verdienen; der Erwerb ist knapp in der Eifel, karg hängen die Äckerchen an den Bergen, lang sind die Winter, kurz die Sommer.“

Die heiratsfähigen jungen Frauen aber auch die älteren „Weiber“ freuen sich in unverhohlener sexueller Erwartung auf die Wiederkehr ihrer Männer: „Jesses, Hubert, lao biste! Komm erein, Mahn, komm erein. Ech haon uf dech gelauert! Dag on Naacht, onsen Hährgott waaß et. [ … ] Sie zog ihren Mann hinter sich drein, kaum daß sie ihm Zeit ließ, den Kameraden zuzunicken; sie hielt ihn so fest am Ärmel, als fürchte sie, ihn gleich wieder zu verlieren. Die Frau mit dem schon faltigen Gesicht, mit dem schlaffen Busen und den Zahnlücken, zeigte die Glut einer Zwanzigjährigen.“

Wenn das „Weiberdorf“ nach deren Abschied wieder ohne Männer ist, dann heißt das nicht, dass die Erziehung der Kinder und die Besorgungen in der Landwirtschaft das einzige Problem der Frauen in Eisenschmitt ist.

Danach ist Peter Miffert, ein verheirateter Mann im besten Alter, der Hahn im Korb, oder wie es einer der eifersüchtigen Männer halb im Scherz formuliert „Dat es dän Bock, dän mir zom Gärtner gemaach haon! Frißt de Blumen in anner Leit’s Gaarten!“

Wenn Pittchen’s Frau Zeih nicht zu Hause ist, bekommt er regelmäßig Damenbesuch, zum Beispiel von Tina Pötsch: „Sie warf sich ihm so stürmisch an den Hals, daß er hintenüber auf einen Schemel fiel. Ihre brennenden Augen sahen ihm gierig in’s Gesicht, ihre Lippen schimmerten blutrot über den spitzigen Zähnchen — das war die junge Katze, die erst kürzlich das Rauben gelernt, auf deren Zungenspitze noch der Blutgeschmack des ersten Fraßes schwebt und sie lüstern auf neuen macht.“ oder von der jungen Annemarie Steffes, oder von Kathrine Densborn. Die Tina, die Leis, die Vrun, das Kättchen, das Nettchen, die Billa , sie alle locken Pittchen und machen ihm Avancen. Und Pittchen?

Junger Most berauscht am meisten; und dazu kam die geschmeichelte Eitelkeit.“

Doch zuviel Zuwendung hat auch ihren Preis: Die ersten Ansprüche der Damen einschließlich seiner Frau werden laut: „Kaaf mer e nei Kleid!“; er hält die jungen Frauen aus, verschuldet sich, muss auch teure Medizin für seinen kränklichen und vernachlässigten Sohn kaufen… . Wehe wehe, wenn ich auf das Ende sehe! Ich will aber nicht den Spaß am Lesen verderben. Jedenfalls kann einem dieser typische Antiheld des „naturalistischen“ Romans am Ende leid tun, obwohl er nach moralischen Maßstäben ein eher triebgesteuerter, aber kein wirklich böser und verdammenswerter Mensch ist; eher schon Opfer der Umstände, genau wie die Frauen, die sich um ihn bemühen und ihn ins Elend stürzen.

Sie hat aufgeschrieben, wie die Menschen um die Jahrhundertwende lebten, was sie dachten, fühlten und sprachen, was sie bewegte und bedrückte, was sie zum Lachen und Weinen, zum Singen und Tanzen brachte.[2] Doch in der Eifel kam ihr Roman nicht gut an. In den Kommentarspalten und von den Kanzeln herab sprach man von Skandal, Pornographie und Obszönität, rief nach Zensur und forderte den Schutz der Jugend. Vor allem die Vertreter der Kirche wetterten gegen den Roman.

Was alle ihre Kritiker nicht verstanden haben, war, dass es in der literarischen Welt ihrer Zeit einen Umbruch gegeben hat. Die Literatur wollte die Welt nicht mehr darstellen wie sie sein sollte. Ziel der Literatur war es, die Welt so darzustellen, wie sie ist. Bei den Autoren der Zeit erkennt man die Absicht, eine getreue Wiedergabe des Lebens unter strengem Ausschluss des Romantischen in ihren Schriften zu zeigen. Nicht die Lebenswelt des biederen Bürgertums der Kaiserzeit lieferte die Themen, sondern die Milieus der Arbeiterklasse. Bei Clara Viebig war das die Landbevölkerung, was in ihrer zeitgenössischen Literatur eher die Ausnahme war. Sexualität, Kriminalität, Armut, Krankheit, Alkoholismus, auch die soziale Frage , waren die Motive der Schriftsteller des Naturalismus. Man ließ die Leute sprechen, wie sie es in ihrem Milieu taten, in ihren Dialekten und Soziolekten.

Clara Viebigs große literarischen Vorbilder waren Emile Zola und Guy de Maupassant. Zolas Roman Germinal, ein Schlüsselwerk des Naturalismus, fand Viebigs leidenschaftliche Bewunderung: „Dieser ‚Germinal‘ war mir eine Offenbarung. […] O diese Kraft, diese Größe, diese Glut der Farben, diese Fülle der Gesichte, diese Leidenschaft der Gefühle – so muß man schreiben, so! Ohne Rücksicht, ohne Furcht, ohne scheues Bedenken […] nur ehrlich, ehrlich!“ [3]

Die Viebig entwickelte sich zu einer der meistgelesenen Autoren ihrer Zeit. Sie war literarisch sehr produktiv und schrieb über 30 Romane, 8 Novellenbände und 5 Dramen. Ihr literarischer Ruhm ging zu Ende mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Wegen ihre Ehe mit einem Juden war sie Repressalien ausgesetzt. Ab 1935 waren ihre Bücher verboten. Erst in den 80er Jahren wurde sie als bedeutende naturalistische Schriftstellerin wiederentdeckt, und ihre Werke erfuhren eine Renaissance. Nach ihrem Tod am 31.7.1952 in Berlin Zehlendorf wurde sie auf eigenen Wunsch in aller Stille in Düsseldorf beigesetzt.

Meine Empfehlung: Auch heute noch absolut lesenswert!

[1] Clara Viebig: Aus meiner Werkstatt. St. Galler Tagblatt vom 15. Juli 1930 zitiert nach Wikipedia*
[2] Brigitte Bettscheider, Kelberg – Zermüllen. Neues von Clara Viebig- in Büchern, im Vortrag Heimatjahrbuch Kreis Daun 1999*
[3] Ilka Horvin-Barnay: Theater und Kunst. Eine Unterredung mit Clara Viebig. In: Neues Wiener Journal. 19. November 1905, S. 12. Zitiert nach Wikipedia*

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