Eine Brücke gegen den Hass

Die Fadenbrücke

Der Burgberg Landskrone um 1900

Von den vielen Burgen, die im Eifelgebiet ihren Standort hatten, sind der Großteil nur noch Erinnerung.

Sofern nicht ganz von der Bildfläche verschwunden, sichert man mit viel Aufwand im Rahmen des Denkmalschutzes das übrig gebliebene Mauerwerk, in der Hoffnung, dass man eben diese Erinnerung noch eine Weile erhalten kann. Oft stehen im Vordergrund der Erhaltungsmaßnahmen, dass die Ruinen Anlaufpunkte für interessierte Touristen sind, und manchmal stiften sie auch eine lokale Identität.

Ihr Geschichte beschränkt sich oft auf die Darstellung von Familiengeschichte und Machtverhältnissen von kleinen und großen Dynastien. Die kleinen Leute, ihre Leiden und ihre Sehnsüchte, kommen in dieser Art von „Lokalgeschichtsschreibung“ selten vor. Es immer schwierig, in einer mündlichen Überlieferung den „wahren Kern“ herauszulesen. Auch wenn tatsächliche Ereignisse, Lokalitäten und Persönlichkeiten bis heute belegbar sind, trägt die Sage wenig zur Aufklärung historischer Fakten bei. Es sind die surrealen, phantastischen Märchenelemente, die einerseits zum Wesenskern der Sage gehören, andererseits aber eine objektive, dahinterstehende Wirklichkeit vernebeln. Doch zwischen den Zeilen von Sagen, die man zum Glück vor dem Verschwinden der mündlichen Erzählkultur noch rechtzeitig niedergeschrieben hat, kann man die Wünsche der Menschen nach Frieden und persönlichem Glück noch herauslesen. Denn Burgen, obwohl oft mit dem Nimbus mittelalterlicher Ritterromantik versehen, zeugen in aller Regel von Krieg und Gewalt. [1]

»Wie herrlich ist doch deutsches Land!
Aber schade, daß die deutschen
Menschen so uneinig sind !«

Gemahlin Phillips anlässlich eines Be-
suches der Reichsburg Landskron (1206)

Gleich zwei der fast vergessenen Burgen sind die Burg Landskron und die Feste Neuenahr. Über die ehemalige Reichsburg erfährt der heutige Besucher im Telegrammstil auf einer Bronzeplatte, dass sie 1206 von König Philipp von Schwaben als Reichsburg erbaut wurde zum Schutz des Königlichen Amtes Sinzig und der 1,5 Kilometer von hier verlaufenden Heerstraße Frankfurt – Aachen. Sie sei ein Bollwerk gewesen gegen Otto I und seinen Verbündeten, den Erzbischof von Köln. Seit 1659 eine Garnison des Herzogtums Jülich sei sie nach einem Brand (1677) auf Anordnung des Herzogs 1682 abgebrochen worden.

Noch dürftiger fallen die Informationen über die Burg Neuenahr aus, die ich bereits im Text „Raubritter im Ahrtal“ aufgearbeitet habe. Während auf der Landskron noch von Efeu überwucherte Mauerreste zu sehen sind, zeugen auf der gegenüberliegenden Seite der Ahr nur noch von Bäumen zugewachsene Reste des ehemaligen Burggrabens von der Existenz dieser mittelalterlichen Befestigung.

Über eben diese spärlichen Reste, die uns an die beiden in Fehden zerstrittenen Burgen und die kriegerischen Verwicklungen der regionalen und überregionalen Dynasten erinnern, berichtet auch die Sage von der Fadenbrücke.

Wie die Mauerreste gebührt ihr vor allem wegen ihrer schönen Botschaft ein kultureller Denkmalschutz. Was wie die alte, tragische Geschichte von Romeo und Julia beginnt, in der feindliche Familien das Glück junger Liebender verhindern, findet in dieser Eifelsage ein glückliches Ende. Die Botschaft ist jedenfalls das Gegenteil von der des berühmten Shakespeare-Dramas, die da lautet: „Capulet! Montague! Seht, welch ein Fluch auf eurem Hasse ruht!“ [2]

Wilhelm Ruland [*1869 in Bonn, † 29. Juli 1927 in München], deutscher Schriftsteller und Redakteur hat sie uns in seinen „Rheinischen Sagen“ überliefert, die bis in die 30er Jahre des 20.ten Jahrhunderts ein Bestseller war und in mehrere Sprachen übersetzt wurden.[3]


Die Fadenbrücke

An den Ufern der Ahr stand in alter Zeit die Bergfeste Neuenahr, ihr gegenüber, ebenfalls auf steiler Bergeshöh, Schloss Landskron. Die Herren beider Burgen waren einander in warmer Freundschaft zugetan; und um sich gegenseitig öfter besuchen zu können, hatten sie eine Brücke erbaut über die Ahr und also Burg mit Burg verbunden. Aber der Enkel Sinnen ist nicht immer gleich dem der Väter, bittere Fehde entzweite die Geschlechter und keines Hengstes erzbeschlagener Huf stampfte mehr wie vordem auf der Brücke, keines Ritters noch Edelfräuleins Fuß schritt hinüber oder herüber. Und kein Steinmetz kam, als die Brücke trauernd ob ihres unnützen Bestandes morsch wurde. Allgemach bröckelte das verwitterte Gestein, Regen und Sturm rasten höhnend um die wankenden Bogen, bis sie endlich einstürzten, sich begrabend in den Fluten der rauschenden Ahr. Nur die beiden Brückenpfeiler trotzten der Vernichtung. Gleich stummen Wachtposten, die man abzulösen vergessen, standen sie hüben und drüben und tauchten ihren Fuß in die neckische Flut.

Nun geschah es nach vielen Jahren, dass auf Schloss Landskron ein junger Ritter aufwuchs, derweil auf Neuenahr ein holdseliges Fräulein erblühte, und es geschah auch, dass die Augen der beiden jungen Menschenkinder sich begegneten, nicht in Hass wie die ihrer gestrengen Väter, wohl aber in Liebe, gar zärtlicher Liebe. Die Herzen des Ritters von Landskron und des Schlossfräuleins von Neuenahr hatten sich gefunden, trotzdem der Brücke Trümmer längst im Bett der Ahr verwitterten und kein Steg noch Furt die Burgen verband; dass dem so war, betrauerte niemand so sehr wie das liebende Paar. Gar oft saß die jungfräuliche Maid am Burgfenster ihrer Kemenate, und aus ihren Augen schaute die Sehnsucht verlangend nach der Veste drüben, indes ihr klopfendes Herz tausend fromme Wünsche spann über Fluß und Thal für den Geliebten drüben.

Während sie so einst wieder dort saß, da raunte ihr der lose Schalk im Flügelkleide, der körpertragende und herzenplagende, einen tollen Plan ins Ohr, und als sie ihn erfaßt hatte, da schüttelte das blitzäugige Schloßfräulein frohgestimmt das blonde Köpfchen. Hat dann heimlich eine Armbrust genommen aus der Rüstkammer, an den Pfeil einen Garnknäul geknüpft, dessen Endfaden befestigt und dann mit kundiger Hand – Erwartung in den Augen und ein Gebetlein auf den Lippen – den Bolzen hinüber gesandt zum Nachbarschloß. Der Liebe, die so also eine Fadenbrücke erbaut, hat dann die Mechanik treulich geholfen, und ein Ringlein an einer haarfeinen Schnur ist fortan fleißig hinüber und herüber gewandert. Manchen Pergamentstreifen, drauf in zierlichen Zeichen schwere Schwüre standen, hat jene Post auf der Luftbrücke hüben und drüben befördert.

Die Windsbraut hat gelächelt, als sie, über die Ahr schwebend, das Werk erschaute und gelobt, seiner gnädiglich zu schonen. Und die Vögel, die durchs Ahrthal kreisten, gelobten ein gleiches; denn auch das Schwälblein weiß heimliche Liebe zu achten.

Wie viele Monde die Liebenden also miteinander verkehrten, darüber schweigt die Sage. Doch weiß sie zu berichten, daß der unselige Zwist zwischen den feindlichen Geschlechtern ein Ende genommen und eines Tages der Ritter von Landskron die reizende Gräfin von Neuenahr heimgeführt hat als sein eheliches Gemahl. Und wiederum erstand die Brücke aus den Trümmern, hochgewölbt wie vordem, zwischen den beiden Burgen. Auf’s Neu stampfte der Hengste erzbeschlagener Huf auf der Brücke, und manches Ritters, manches Edelfräuleins Fuß schritt hinüber und herüber.

Dann starb auch jenes Geschlecht aus, wie so manches im rheinischen Land. Die stolzen Vesten Landskron und Neuenahr sind zerfallen, auch die Brücke verwitterte und ist endlich zum andernmale zusammengebrochen. Kein Stein mehr blieb erhalten, und auch von den beiden Schlössern sind nur noch spärliche Trümmerreste vorhanden.

[1] Dieter Schewe, Wie es vor 777 Jahren zum Bau der Burg Landskron kam — Die untere Ahr in den Kämpfen zwischen Staufern und Weifen, Königen und Erzbischöfen um l200 Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1984
[2] William Shakespeare: Romeo und Julia zitiert nach Zeno.org
[3] Wilhelm Ruland: Rheinische Sagen im Projekt Gutenberg, Kapitel 15 (in Bezug auf die Rechtschreibung von mir leicht überarbeitet)

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