Normannensturm

Ausschnitt Teppich von Bayeux 2. Hälfte 11. Jahrhundert

Am Ufer des Stromes lagen in langer Reihe, dicht aneinander gedrängt, etwa hundert Drachenschiffe der Normannen. Sie waren fast ganz aufs Land gezogen; die runden Stämme, welche als Rollen dienten, lagen aber noch darunter, um nötigenfalls eiligste Flottmachung zu ermöglichen. Deshalb schauten auch die Schnäbel der Schiffe, oben in phantastische, schimmernde Tierfratzen auslaufend, alle nach dem Fluß zu. Zwischen den Schiffen hatte man Holz aufgeschichtet, so daß ein fortlaufendes Bollwerk entstanden war, plötzlichen Angriff vom Flusse her zu verhindern. Die beiden Flanken des weitläufigen Lagers waren durch Sümpfe und einen breiten Erdwall gedeckt, während die dem Lande zugekehrte Seite, als die am meisten gefährdete, besonders hohe Schanzen mit Türmen darauf zeigte.“ – In dem Jugendbuch „Normannensturm“ schildert der Bonner Arzt und Schriftseller Carl Ferdinands das Lager der Wikinger in Lüttich.[1] Von ihrem Lagerplatz an der Maas aus unternahmen sie in den Jahren zwischen 882 und 892 Raubzüge in das weitere Umland. Vor allem reiche Klöster wie die Benediktinerabtei Prüm waren Ziele ihrer Raubexpeditionen. In seinem Roman gelingt es den in Fehden zerstrittenen Eifler Adel zu einigen und die Normannen militärisch zu besiegen. Doch einmal mehr zeigt sich, dass Fiktion und Fakten nicht deckungsgleich sind.

Die von Lüttich vordringenden Normannenhorden fielen ins gesamte Rheinland ein und drangen plündernd und brandschatzend bis zum Rhein vor. Sie metzelten große Teile der Bevölkerung nieder oder führten sie als Arbeitssklaven fort. Die fränkische Verteidigung war dieser Bedrohung nicht gewachsen. Selbst Städte wie Köln, Bonn und Aachen wurden auf den Raubzügen geplündert und niedergebrannt. Wo sich die kampfungeübten Bauern den Wikingern entgegenstellten, wurden sie in blutigen Massakern getötet.

Der Prümer Abt Regino (892-899) hat die Ereignisse in seiner Chronik festgehalten: „Im Jahr der göttlichen Menschwerdung dringen bei sie einem Streifzug durch die Ardennen gerade am Tage der Erscheinung des Herren (6. Jan.) in das Kloster Prüm ein, wo sie sich drei Tage aufhalten und die ganze umliegende Gegend ausplündern. In diesem Landstrich sammelt sich eine unzählige Menge Fußvolk von den Äckern und Landgütern in einem Haufen und rückt wie zum Kampfe gegen jene vor. Aber als die Normannen dieses Bauernvolk nicht sowohl waffenlos als vielmehr von aller Kriegszucht entblößt sahen, fielen sie mit Geschrei über sie her und streckten sie unter einem solchen Gemetzel nieder, dass unvernünftiges Vieh, nicht Menschen geschlachtet zu werden schienen. Nachdem dies vollbracht war. kehrten sie beutebeladen in ihr Lager zurück. Als sie abzogen verzehrte das Feuer, welches in verschiedenen Gebäuden brennend zurückgeblieben das Kloster, weil niemand zum Löschen da war.“

Regino von Prüm gilt als einer der bedeutendsten Geschichtsschreiber des Mittelalters. Geb. Mitte des 9. Jahrhunderts. Als Prümer Abt führt er die Benediktinerabtei nach zwei verheerenden Normanneneinfällen 882 und 892 zu neuer Blüte. Im Liber Aureus (Goldenes Buch) läßt er die vorhandenen Urkunden über den Prümer Grundbesitz kopieren. Mit dem Prümer Urbar legt er ein umfangreiches Güterverzeichnis der Abtei an. 899 verläßt er enttäuscht das Prümer Kloster, nachdem ihn lokale Adlige aus dem Amt gedrängt hatten. Er findet Zuflucht beim Bischof von Trier. Dort widmet Regino sich der Musik und der Geschichtsschreibung. Er stirbt 915 und wird in St. Maximin, Trier, bestattet.

Fiktives Porträt aus dem Erstdruck der Chronik des Regino von Prüm, Holzschnitt, 1521. (Stadtbilbiothek Trier

Über die Ereignisse des Jahres 892 schreibt Abt Regino: „Im Jahre 892 kamen sie bis nach Bonn. Als sie von dort abzogen. besetzten sie Lannesdorf. Bei Einbruch der Nacht verließen die Normannen das genannte Dorf. Weil sie einen feindlichen Angriff fürchteten, wagten sie durchaus nicht, sich der Ebene und den offenen Feldern anzuvertrauen, sondern hielten sich beständig in den Wäldern, ließen das Haus links im Rücken und richteten ihren Marsch mit der größtmöglichen Geschwindigkeit nach dem Kloster Prüm. Kaum entwichen der Abt und die Brüderschar durch die Flucht, als jene bereits hereinstürmten. Als aber die Normannen das Kloster betraten, verwüsteten sie alles, töteten einige von den Mönchen, erschlugen den größten Teil der Klosterfamilie und führten die übrigen als Gefangene fort.“

Es gelang den Prümer Mönchen nur einen kleinen Teil der kostbaren Handschriften des Klosters und die Urkundenschätze des Prümer Klosters vor der Zerstörung zu bewahren. Die Urkunden sind im „Liber aureus prumiensis“, dem Goldenenen Buch der Abtei Prüm der Nachwelt erhalten geblieben.

Die Verwüstung der Felder, der Mangel an Arbeitskräften und die Furcht vor neuen Heimsuchungen durch die Wikinger lähmte über einige Jahre den Wiederaufbau der Verwaltung und die Reorganisation der Feldarbeit auf den Höfen der Abtei, die zu Hunderten im Rheinland bis nach Lothringen lagen. Abt Regino ließ sofort nach den normannischen Verwüstungen eine großangelegte Bestandsaufnahme des gesamten Besitzes sowie der Dienste, die Ortschaften und Lehensnehmer der Abtei schuldig waren, durchführen. Die Erhebungen der über Land geschickten Kommissionen des Klosters wurden von Regino im „Prümer Urbar“ zusammengefasst, das eines der bedeutendsten Quellen über die wirtschaftliche und soziale Situation im mittelalterlichen Rheinland darstellt.

Wikingerüberfälle im Rheinland Quelle: Wikipedia

[1] Carl Ferdinand van Vleuten: Normannensturm – Eine Eifelgeschichte aus alter Zeit 1908 in: Projekt Gutemberg
Titelbild: Wikingerboot Wikimedia Commons

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