Die Wunderrübe

Eine Ballade von Peter Zirbes

Eine Ballade des Eifeldichters Peter Zirbes erzählt uns die Geschichte von einer Wunderrübe. Rüben oder im Eifeler Platt „Rommeln“ kenne ich aus meiner Kindheit in der Schneifelregion vor allem als Futterrüben für das eingestallte Vieh im Winter. Im Eifler Norden heißen sie „Knollen“. Ihren hochdeutschen Namen „Runkelrübe“ kann man bezüglich des Wortbestandteile „Runkel“ nur deuten. „Das erste compositionsglied ist dunkel, doch liegt die annahme nahe, dasz das derbe, kräftige der rübe damit bezeichnet werden soll“ [1]

18 Pfund bringt die „Riesenknolle“ auf die Waage, die ein 70jährige Rentner aus Brandenburg auf seiner 20 Quadratmeter großen Anbaufläche geerntet hat. Bis zum 18. Jahrhundert gab es keine Unterscheidung zwischen Nahrungs- und Futterrüben. Erst ab etwa 1750 wurden aus dem Rheinland spezielle gelbfleischige Sorten, die sich gut über den Winter lagern ließen, als Futterrübe oder Runkelrübe bekannt.

Der Anbau der zuckerhaltigen Hackfrucht und deren Verarbeitung prägen Wirtschaft und Landschaft des Euskirchener Nordkreises.  Die Zuckerrübe sei die höchste Erhebung der Euskirchen-Zülpicher Börde, sagt man im Scherz.

Vor allem die Futterrüben können das stattliche Gewicht von bis zu 18 Kilo erreichen. Es scheint so, dass die Riesenrübe wohl wegen ihrer beeindruckenden Wuchskraft zu einem literarischen Motiv geworden ist. Von den Gebrüdern Grimm ist das Märchen von der Rübe überliefert. Es enthält die typischen Elemente der Lügengeschichte. „Der Same ging auf und es wuchs da eine Rübe, die ward groß und stark, und zusehends dicker, und wollte gar nicht aufhören zu wachsen, so daß sie eine Fürstin aller Rüben heißen konnte, denn nimmer war so eine gesehen, und wird auch nimmer wieder gesehen werden. Zuletzt war sie so groß, daß sie allein einen ganzen Wagen anfüllte, und zwei Ochsen daran ziehen mußten.“ [2] Und im Volksmärchen werden Rüben so groß,. dass der alte Bauer, seine Frau und die Enkelin es zusammen mit dem Hofhund nicht schaffen, sie aus der Erde zu ziehen. [3]

So wie den Brüdern Grimm und anderen Erzählern von Volksmärchen nehmen wir dem Eifeldichter Peter Zirbes seine Lügengeschichte über die Wunderrübe nicht übel, denn sie ist bis heute eine gute Unterhaltung. Und „Wer nicht glaubt, dass dies Wahrheit sei, Der lass es lieber bleiben.“

Die Wunderrübe

Bei mir zu Haus ein Bauer war
— Vergessen hab’ ich Tag und Jahr,
Sowie auch seinen Namen; —
Der hatte einst ein Ackerfeld
Zur Rübeneinsaat wohl bestellt
Mit sieben Malter Samen.

Doch als die Zeit der Ernte kam.
Da macht es ihm Verdruss und Gram,
Dass gar nichts aufgegangen.
Ein einzig’ Korn nur trieb empor.
Der Bauer kratzte hinter’m Ohr.
Was war nun anzufangen?

Auf schoss ein Büschel Rübenkraut,
Was jeder mit Bewund’rung schaut.
Verborgen doch dem Blicke
Wuchs all die Saat im Erdenschoß
Zu einer Rübe riesengroß
Von übermäß’ger Dicke.

Nun kam’s, weil sie so dick war wohl,
Dass sie von Innen wurde hohl,
Nach oben aufgesprungen.
Da horch! — Was lärmt des Schulzen Frau?
Der Hirt verlor die Ferkelsau;
In Kurzem wirft sie Jungen.

Sie wühlte dort im Rübenland,
Und als sie jene Öffnung fand,
Ist sie hinein gekrochen.
Da war’s so still und angenehm,
Ein weiter Raum und recht bequem,
Zu halten ihre Wochen.

Nicht weit davon ein Jäger stand,
Zum Schuss hat er den Hahn gespannt
Bereit schon los zu drücken.
Der Hase floh zum Rübenbusch
Ihm nach der Hund und beide — husch
Verschwunden seinen Blicken.

Die Schulzensippschaft kam in Eil.
Der Jäger nahm am Zuge Teil
Und nun ging’s an ein Suchen.
Doch ward mit alldem nichts bezweckt,
Da keins der Lieben man entdeckt
Trotz Locken, Pfeifen, Fluchen.

Da plötzlich spitzt der Jäger ‘s Ohr.
Ein Bellen, aus dem Kraut hervor
Kam’s dumpf, wie aus der Erde.
Denn auch die flücht’ge Hetze fand
Das Loch, drin jüngst die Sau verschwand,
Wie man nun sah und hörte.

Den Hasen jagt der Hund mit Fleiß,
Doch dieser ängstlich floh im Kreis
Bemüht ihm zu entwischen.
So oft sie dann den Ferkeln nah’n,
Fuhr drein die Sau und fletscht den Zahn
Und rüffelte dazwischen.

Nun zogen alle froh nach Haus;
Man grub alsbald die Rübe aus
Um einen Ochs zu mästen.
Hei, da vergaß man aller Not,
Aß Wurst zum Fleisch statt Kraut und Brot
Und freute sich mit Gästen.

Und — nota bene — wenn’s erlaubt,
Zwei Hörner trug der Ochs am Haupt.
Eins wählte sich zum Sitze
Ein Schwälblein, da es müde war;
Doch flog es sieben ganze Jahr
Bis zu des andern Spitze.

Ein solches Horn dem Hirt man ließ,
Der drauf das Vieh zur Weide blies.
Er nahm’s in beide Hände.
Gertrudis blies er aus dem Stall,
Michelis doch kam erst der Schall
Heraus am andern Ende.

So melde ich der Sage Wort,
Gepflanzt vom Ahn zum Enkel fort,
Will nichts dran übertreiben.
Das Denken doch steht jedem frei.
Wer nicht glaubt, dass dies Wahrheit sei,
Der lass es lieber bleiben.

Peter Zirbes
Aus der Sammlung Eifelsagen
[4]

[1] zitiert nach Grimms Wörterbuch der Deutschen Sprache Internet: https://woerterbuchnetz.de/#6*
[2]Gebrüder Grimm, Die Rübe 1815 Internet: https://de.wikisource.org/wiki/Die_R%C3%BCbe_(1815)*
[3] Die Riesenrübe, Internet: https://api.readmio.com/api/v1/books/721/pdf/*
[4] in: Deutsche Gedichtebibliothek Internet: https://gedichte.xbib.de/*

Zum Beitragsbild: Jean-Baptiste Siméon Chardin, Die Rübenputzerin, um 1738, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München, URL: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/Y0GRlM7xRX (Zuletzt aktualisiert am 31.01.2023)

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