Hähnchen mit Thermostat

Geschichten aus der Eifel

„Datt Blaue an den Hähnchen dürfen se´ net wegmachen, datt is ene Thermostat!“

Vielleicht war ich der einzige Kunde im Laden, dem dieser Satz ein Grinsen entlockte und gespitze Ohren, die gespannt auf das lauschten, was die Hähnchenverkäuferin an Erläuterung, bzw. an mündlich übermittelter Gebrauchsanweisung nachliefern würde. Es blieb erstaunlich still. War ich jetzt der einzige Uneingeweihte, der nicht wusste, wie Technik und Hähnchen auf so ungewöhnliche Weise eine symbiotische Verbindung eingehen? Bis heute hatte ich noch nicht realisiert, dass man inzwischen mit Mischwesen aus biologischem Organismus und Maschinenteilen auch schon in ganz normalen Metzgereien rechnen musste.

Aber die Hähnchenkunden, ein Ehepaar, deutlich älter als ich, der ich glaube schon einiges an Fortschritt in meinen letzten 68 Lebensjahren gesehen zu haben, gaben sich völlig unbeeindruckt. Jedenfalls blieb das erwartete rheinische „Watt soll datt?“ aus.

„Dä! Watt nu?“

„Ist das jetzt das erste Smart-Chicken, von dem ich höre? Ein „Hähnchen-Cyborg“ vielleicht?“ ließ ich mich aus der zweiten Kundenreihe ein. – „Nääh“ und Pause. … Und dann ergänzte die Verkäuferin doch noch: „Datt müssen Se‘ drennlooße. Wenn se‘ datt Hähnche in de‘ Backowe don, da kütt datt Thermostat von sellwer erüss, wenn et jood öss! Dat kreje mer esu gelivvert.“

Ich wollte jetzt das Thema dann doch nicht vertiefen, weil ich ja auch das allgemeine Grinsen um mich herum nicht richtig einschätzen konnte. War mir jetzt diese Innovation im Metzgerladen dank Corona-Lockdown durchgegangen? Hing diese High-Tech-Hähnchen-Varietät jetzt mit dem Muss-Ich-Haben-Thema „Smart Kitchen“ zusammen, in der man einen Backofen per Smartphone-App bedienen kann statt wie dunnemals aus dem Handgelenk heraus? Verunsichert wie ich war, wollte ich ja auch nicht das technische Verständnis des Fachpersonals austesten und am Ende als der Blamierte dastehen. Auf eine Antwort zu insistieren, wäre mir dann doch unhöflich neugierig vorgekommen, zumal ich ja überhaupt kein Brathähnchen kaufen wollte, mich das folglich dann auch nicht wirklich etwas anging.

Dann lieber zu Hause Google fragen! Was ich herausgefunden habe, war dann doch ernüchternd. Was man in der Schlachterei dem Hähnchen von vorhin ins Fleisch gesteckt hatte, war wohl ein sogenanntes „Pop-Up-Timer-Einweg-Thermometer für Hähnchen für eine Kerntemperatur von 60°C“ zum Einzelpreis von ca. 0,50€ bei Amazon im 10er-Pack erhältlich. Man piekst es dort ins Bratenfleisch, wo es am dicksten ist. Wenn dann die voreingestellte Kerntemperatur erreicht ist, drückt sich der Anzeigeknopf nach oben. Das Hähnchen ist gar.

Früher hat man für sowas eine einfache Nadel genommen und das Hähnchen zwischen Brust und Keule angepiekst. Wenn dann klarer Bratensaft statt blutiger Brühe herauslief, war das Hähnchen servierfertig. „Früher“ ?! – ich komme mir schon bei der Benutzung des Wortes alt und rückständig vor und sehe für mich ein Kapitel reserviert in einem Bestseller „Was Opa und Oma noch wussten – So haben unsere Großeltern ohne Smartphone und künstliche Intelligenz überlebt“. Eine Einladung zu einer Prepper-Show: „Leben ohne Smart-Technology“ wäre kaum zu umgehen.

Künstliche Backofenintelligenz schafft es heute ja schon, bis zu 20 Speisen zu erkennen und selbstständig Vorheizzeit, Backtemperatur und Garzeit richtig einzustellen. Sogar Serviertipps und Wunschzutaten sollen dem „User“ ungefragt per Push-Message oder via Bluetooth mitgeteilt werden, nach entsprechendem Klick gerne als Youtube-Video auf mein Fire-TV, als Podcast auf meine Surround-Sound-Lautsprecherbox oder als e-Book auf mein Smartphone, meinen Kindle oder Tablet.

Um jetzt mein seelisches Gleichgewicht als „hipper Opa“ wiederzufinden, denke ich also darüber nach, wie man Garzeit, Entertainment und Geschmack mit einem nach dem Schlachten post-mortem eingebauten Chip dann doch noch verbessern könnte.

Hier sind meine innovativen Ideen: Während des Backens könnte das Hähnchenimplantat meinen Alexa-Sprachassistenten – vielleicht sogar den Backofen selbst – anweisen, eine zum Gericht passende Begleitmusik mit Disco-Lights abzuspielen. Natürlich muss der Einweg-Chip sich bei Erreichen der Garzeit selbständig biologisch abbauen, zum Beispiel, indem er sich nach fertigem Bratvorgang per App gesteuert in den Geschmacksrichtungen, Süßsauer, Chicken Mc Donald oder als Honig-Senf-Dipsauce in der Bratensoße auflöst und sich so noch ein zweites Mal nützlich macht. Das wäre mal zeitgemäßes Upcycling.

Die Musik wird sicher das kleinste Problem, sie ist schon fertig und befindet sich bereits in der Beta-Phase, wie ich bei Youtube herausgefunden habe. Low-Cost-production in China wird die Produktionskosten billig halten und liefert durch eine geheime Schnittstelle gleichzeitig aussagekräftige Daten für Präsident Xi Jinping über den Brathähnchenkonsum in Deutschland.

Das einzige Problem, das ich noch sehe, ist: Wenn der Chip sich aufgelöst hat, kriege ich dann noch die Backofentür auf? Aber da wird mir sicher noch etwas einfallen.

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© Marzellus BoosMellonia-Verlagzum Newsletter anmeldenBücher über die Eifel*

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